Warum hast du keine Angst vor der Vergangenheit, Nora Krug?
Nora Krug ist eine Illustratorin, die keine Angst davor hat, dahin zu gehen, wo es weh tut. In ihren Büchern geht es um Krieg und Gewalt, um Trauma und Schuld – und auch um die Schuldfrage der eigenen Verwandten zur Zeit des Holocausts. Felix hat Nora für Wunderbar Together in ihrem Haus in Brooklyn besucht, wo sie mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem greisen Kater Rusty lebt und arbeitet. Für Felix ein Haus des Schaffens und Kreierens, voller Bücher, Sammlerstücke und Kunstwerke. Nora formuliert es etwas lapidarer: „Es ist ein Haus, das ein bisschen überquillt.”
„Die Illustration hat einen sehr direkten Draht zu Krieg, und Trauma, und Geschichte”, sagt Nora, die sich gar nicht in erster Linie als Illustratorin identifiziert. Und auch keine Notizbücher voller Zeichnungen und Skizzen besitzt: „Für mich ging es nie nur um den Akt des Zeichnens. Für mich steht der Inhalt an erster Stelle, die Geschichte, die Gefühle, die ich zum Ausdruck bringen will. Dann erst überlege ich mir: Was für ein Medium verwende ich, wie gestalte ich das jetzt visuell?”
Nora hat zunächst Bühnenbild studiert, kurz mit dem Gedanken gespielt, professionell Musik zu machen, und sich dann an der UDK in Berlin für Illustration und Dokumentarfilm eingeschrieben, bevor sie in die USA gegangen ist, nach New York. Zuletzt ist ihr Buch „Diaries of War” erschienen, in dem sie eine ukrainische Journalistin und einen russischen Künstler im ersten Jahr des russischen Angriffskriegs in der Ukraine begleitet.
Zuvor hat sie mit „Heimat” („Belonging”) erforscht, was die eigenen Großeltern während des zweiten Weltkriegs gemacht haben. In „Heimat” hat sie sich intensiv mit der eigenen Familiengeschichte befasst, und auch mit ihrer Identität als Deutsche in einem anderen Land: „Ich bin nicht nur das Individuum, ich bin immer auch Deutsche und ich werde – auch, weil ich in dieser sehr jüdischen Stadt lebe – immer wieder damit konfrontiert, mit meinem Land, und auch mit meiner Geschichte. Damit habe ich eine Verantwortung. Und diese Verantwortung ist mir erst bewusst geworden, als ich Deutschland verlassen habe.”
Ihre Bücher sind daher künstlerischer Ausdruck, aber auch Teil eines ganz eigenen Reaktion auf das, was sie täglich umgibt: „In allen meinen Büchern geht es darum, dass ich gegen Hilflosigkeit ankämpfe. Gegen die Wut, die man empfindet, wenn man dem Weltgeschehen tagtäglich hilflos gegenübersteht. Für mich ist das immer der Hauptimpuls, ein Buch anzufangen.” Deswegen arbeite sie auch an so schweren Themen. „Das ist für mich eine Möglichkeit, gegen die gewisse Melancholie anzukämpfen, die sich einstellt, wenn man sich hilflos fühlt.”
Die Illustration helfe ihr dabei, weil sie Menschen emotional erreichen würde. Aber: „Ich bin der Überzeugung, dass wir alle etwas tun können, in jedem Beruf.” Dies, davon ist sie überzeugt, sei eine gesellschaftliche Aufgabe, der wir alle verpflichtet sind. Egal, ob in Deutschland oder den USA. „Solange es weiterhin Rassismus, Antisemitismus und Homophobie gibt, können wir nicht aufhören, über die deutsche Geschichte zu reden. Und wenn wir es nicht tun, als Deutsche, dann tut es niemand.”
Wie Nora abends abschaltet, was die jüdische Familie ihres Mannes von ihren Büchern hält und weshalb die USA an ihrer Erinnerungskultur arbeiten müssen – das alles erzählt uns die wunderbare Nora Krug in der 90. Folge von Wunderbar Together.